Das Impostor-Syndrom: Was ist das und wie lässt es sich erkennen?
Das Impostor-Syndrom, auch Hochstapler-Syndrom genannt, beschreibt das Phänomen, dass erfolgreiche Menschen glauben, sie seien gar nicht so kompetent wie es scheint. Es zeigt sich als Kontinuum zwischen: gelegentlicher Sorge, einer Aufgabe nicht gewachsen zu sein bis hin zu ausgewachsenen Ängsten als Betrüger:in „entdeckt“ zu werden. Trotz objektiver Erfolge und Anerkennung zweifeln Betroffene an ihren Fähigkeiten und fühlen sich oft wie Hochstapler:innen. Sie haben (bewusst oder unbewusst) das Gefühl, dass sie ihre Position oder ihren Erfolg eher durch Zufall, Glück oder nur aufgrund übermäßiger Anstrengung erreicht haben und nicht aufgrund ihrer Talente oder Kompetenzen.
Beispiele könnten folgende Situationen sein:
Frau Höhnig wurde ein neues Arbeitsfeld zugeteilt. Sie hat noch wenig Erfahrung, worauf zu achten ist und wie die neue Software funktioniert. „Ich sollte doch wissen, wie das funktioniert“, ist der Gedanke, der ihr durch den Kopf geht und sie traut sich nicht, um Hilfe zu bitten.
- Lisa hat die Verantwortung für ein kritisches, großangelegtes Projekt übernommen, das sie mit Erfolg zu Ende gebracht hat. Als ihre Führungskraft sie und ihre Arbeit lobt, spielt sie das positive Feedback runter. Statt sich über den Erfolg und das gute Feedback zu freuen, sorgt sie sich eher, ob sie beim nächsten Mal, wieder überzeugen kann.
- Elvira hat eine Führungstätigkeit übernommen. Die ersten Tage prasseln Unmengen an neuen Informationen auf sie ein. Am Ende des Arbeitstages ist sie erschöpft und unsicher, ob sie alles „richtig“ gemacht hat. „Wenn ich wirklich kompetent wäre, würde es mir leichter fallen“, denkt sie und fragt sich, ob sie die Stelle wieder abgeben soll.
- In einem Teammeeting präsentiert Herr Ernst den aktuellen Kennzahlenbericht. Alles läuft wunderbar, bis er eine Frage gestellt bekommt, auf die er keine Antwort parat hat. Er erhält den Auftrag, die Antwort zum nächsten Teammeeting mitzubringen und erhält positive Rückmeldungen zur Präsentation. Den Rest des Arbeitstages ärgert er trotzdem über seine „Inkompetenz“. „Warum habe ich mich nicht auf diese Frage vorbereitet? Warum ist mir die nicht in den Kopf gekommen?“ Vor lauter Gedankenkreisen kann sich Herr Ernst kaum auf seine anderen Aufgaben konzentrieren.
- Henrikes jetziger Job erfüllt sie nicht mehr und sie sucht intern nach einer neuen Herausforderung. Wie wäre es mit einer Führungstätigkeit oder Projektleitung? Beim Durchsehen der aktuellen Stellenangebote denkt sie immer wieder: „Ich sollte mich für diese Stelle nicht bewerben. Mir fehlen eh die Fähigkeiten und Erfahrung.“ Sie schickt keine Bewerbung ab, weil sie vermutet, nicht hundertprozentig für eine der Stellen qualifiziert zu sein.
Sind Frauen häufiger vom Impostor-Syndrom betroffen?
Das Impostor-Syndrom wurde erstmals in den 1970er Jahren von den Psychologinnen Pauline Rose Clance und Suzanne Imes entdeckt, die es zunächst nur bei Frauen beobachteten. Weitere Forschungen zeigten, dass es bei Männern genauso häufig auftritt und unabhängig von Geschlecht, Alter oder beruflichem Hintergrund vorkommen kann. Studien gehen davon aus, dass 70 % der Menschen das Impostor-Phänomen im Laufe ihres Lebens erleben.
Warum es dennoch häufig mit Frauen in Verbindung gebracht wird, kann daran liegen, dass das Impostor-Phänomen dann besonders wahrscheinlich ist, wenn die eigene Gruppe unterrepräsentiert ist. Was im Arbeitskontext beispielsweise der Fall sein kann: bei der Frau im Top-Management oder einer MINT-Branche. Aber auch der Doktorand, der als einziger in seiner Promotionsgruppe nicht aus einem akademischen Haushalt kommt, könnte mit höherer Wahrscheinlichkeit das Impostor-Phänomen erleben.
Die genauen Ursachen des Impostor-Syndroms sind nicht abschließend geklärt. Einige Studien deuten darauf hin, dass es durch Faktoren wie individuelle Entwicklungserfahrungen, persönliche Charaktereigenschaften und gesellschaftliche Einflüsse hervorgerufen werden kann.
Warum sollten Unternehmen und Führungskräfte das Impostor-Syndrom kennen?
Das Impostor-Phänomen klingt zunächst einfach wie ein interessantes Selbsthilfethema. Doch es ist mehr als das. Das Impostor-Syndrom zu kennen, ist entscheidend aus mehreren Gründen:
Wohlbefinden:
Menschen, die sich mit dem Impostor-Syndrom identifizieren, fühlen sich oft unsicher und ängstlich, auch wenn sie erfolgreich und kompetent in ihrer Arbeit sind. Das kann zu emotionalem Stress bis hin zu Burnout führen. Eine Unternehmenskultur, die das Impostor-Syndrom nicht befeuert, sondern stattdessen strukturelle und individuelle Rahmenbedingungen schafft, es zu meistern, zahlt direkt auf die mentale Gesundheit (und damit langfristig auch die Arbeitsfähigkeit) der Beschäftigten ein.
Leistungsfähigkeit:
Das Impostor-Syndrom steht auch im Zusammenhang mit der Produktivität am Arbeitsplatz. Häufige dysfunktionale Strategien beim Erleben von Selbstzweifeln sind: a) Prokrastination, also das Aufschieben von Aufgaben oder b) Perfektionismus. Beides hat Auswirkungen auf die Produktivität einer Organisation. Personen, die das Impostor-Phänomen erleben, tendieren dazu Ideen und Fragen zurückzuhalten und sich weniger auf anspruchsvollere Projekte oder Aufgaben einzulassen, aus Sorge nicht kompetent genug zu sein. Im Ergebnis kann dies zum Rückgang der proaktiven Mitarbeit und Kreativität führen. Innovationen, die für das Wachstum und den Erfolg eines Unternehmens entscheidend sind, können dadurch gebremst werden.
Persönliche Weiterentwicklung:
Des Weiteren kann das Impostor-Syndrom die persönliche Weiterentwicklung und Karriereentwicklung behindern. Beschäftigte, die es erleben, neigen dazu, ihre Erfolge herunterzuspielen und erlauben sich oft nicht, Ansprüche zu stellen. Sie fragen deshalb im Zweifel nicht nach einer Beförderung oder lehnen diese oder andere Karrierechancen gar ab, weil sie sich ihrer eigenen Fähigkeiten und Leistungen nicht sicher sind. Dies kann dazu führen, dass sie auf einer Position unterhalb ihres Leistungsniveaus verbleiben, obwohl sie das Potenzial hätten, mehr Verantwortung zu übernehmen.
Fluktuation:
Beschäftigte, die das Impostor-Syndrom erleben, betreiben überdurchschnittlich oft Job-Hopping. Wir können nur erahnen, wie viel Geld und personelle Ressource für vermeidbare Stellenwechsel eingespart werden könnten…
Das ist nur eine Auswahl an Gründen, warum es für jedes Unternehmen von Vorteil ist, das Impostor-Syndrom zu kennen, zu verstehen und anzugehen. Einerseits, um das individuelle Wohlbefindens der eigenen Mitarbeiter:innen zu stärken. Andererseits, um eine produktive, innovative und vertrauensvolle Arbeitsumgebung zu fördern.
Fazit: Das Impostor-Syndrom ist mehr als ein interessantes Selbsthilfethema
Es kann nicht nur Effekte auf das Wohlbefinden der Betroffenen haben, sondern sich auch auf die Produktivität und Innovationskraft in Unternehmen auswirken. Für Organisationen ist es deshalb ein Gewinn, wenn Führungskräfte und Beschäftigte, das Impostor-Syndrom (er)kennen und um Ansatzpunkte wissen, um es auf gesamtunternehmerischer sowie individueller Ebene zu meistern.
Wie ich euch als Organisation unterstützen kann
Möchtet ihr das Impostor-Phänomen in eurer Organisation zum Thema machen? Als Psychologin, systemische Beraterin und Dozentin biete ich Vorträge, Workshops und Systemisches Coaching zum Impostor-Syndrom am Arbeitsplatz an.
Ziele der Angebote sind: ein besseres Verständnis für das Impostor-Phänomen am Arbeitsplatz zu entwickeln, Lösungsansätze kennenzulernen, die eigenen Erfahrungen mit dem Impostor-Phänomen zu reflektieren und Kompetenz im Umgang mit unangemessenen Selbstzweifeln, Fehlern und Erfolg zu stärken.
Das stärkt nicht nur die individuelle Resilienz und Arbeitsfreude der Beschäftigten, sondern unterstützt auch eine Unternehmenskultur, die auf Vertrauen und Offenheit basiert.
Übrigens, ich nutze in diesem Beitrag ab und an die Formulierung „Impostor Syndrom“, obwohl ich fachlich die Bezeichnung „Impostor Phänomen“ absolut bevorzuge. Denn es handelt sich um ein Phänomen, ein Muster und nicht um eine psychische Störung. Die Suchmaschinen bevorzugen aber die erstere Bezeichnung und was tut man nicht, um gefunden zu werden.
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